Grundlagen des alevitischen Glaubens

 

 

Nach alevitischem Glauben erreicht Gott nur im vollkommenen Menschen den höchsten Punkt seines eigenen Bewusstseins. Er offenbart sich vielmehr in der Welt und zeigt sich im Menschen, seiner vollkommenen Schöpfung. Der Mensch steht nämlich über anderen Lebewesen. Das Herz des Menschen ist die Wohnstätte Gottes. Aus dieser Überzeugung heraus wird die Manifestation Gottes im Menschen kalligraphisch durch die Zeichnung des menschlichen Gesichts oder Körpers mittels der Namen Gottes oder auch der Namen "Muhammed" und .Ali" - nicht nur in arabischer Schrift - umgesetzt. Die Aleviten nehmen diesen Glauben bei eigenen Beschreibungen an erste Stelle auf: "Ein Alevit:  trägt die Heiligkeit von Allah (Gott), Mohammed, Ali (Schwiegersohn von Mohammed) in seinem Herzen, ist Alis Gerechtigkeit absolut treu (Er verstößt niemals gegen Alis  Gerechtigkeitssinn),beherbergt in seinem Herzen die Menschenliebe, achtet und toleriert jede Religion, Konfession, Glaubensrichtung, macht keine diskriminierenden Unterschiede wegen der Sprache, der Religion, der Rasse, stiehlt nicht, lügt nicht, geht nicht fremd (Er zügelt seine Hände, seine Zunge, seinen Geschlechtstrieb), ist aufrichtig, freundlich, barmherzig, gerecht, liebevoll, legt sehr großen Wert auf Wissen (Wissenschaft), strebt die Vollkommenheit an, wendet sich angstfrei und mit Liebe Gott zu, sieht Gott und den Menschen als Einheit an.

 

Im Alevitentum:  finden alle gläubigen Menschen, wenn sie es wünschen, Aufnahme und seelsorglichen Beistand,werden Prinzipien wie Gleichheit, Gleichberechtigung, Anteilnahme verteidigt, da nur die Einhaltung  dieser Werte es ermöglichen, dass die Menschen in der Gesellschaft freiwillig das Prinzip des "sich Beherrschens" erlernen können, gibt, es keinen Platz für das fanatische Scharia-Recht  wird, der Islam anders interpretiert als im Sunnitentum - (Alevitische Auslegung des Islams unterscheide sich wesentlich von der des Sunnitentums, in der starre Religionsgesetze herrschen.) haben die Werte wie Ethik und Anstand fundamentale Bedeutung, wird der Mensch als höchst erhaben betrachtet, ist das Wissen (Bildung) genau so wichtig und wertvoll wie die göttliche Kraft,  wird die Religion nicht formal (starre unveränderliche Gesetze u. Vorschriften) angesehen, sondern als Glaube wahrgenommen; sie wird als Willenskraft und tieferer innerer Sinn evolviert.

In der Synthese zwischen Vernunft und Glauben wird die Religion vereinheitlicht,

 

• -werden alle aufgezählten Werte und Tugenden durch Kirklar cemi (das Gebet von den Vierzig  Heiligen) inspiriert." 1

 

 

 

Grundlagen der alevitischen Lehre:

 

Ein Gegensatz sowohl zur sunnitischen als auch zur orthodox-schiitischen Glaubensrichtung besteht darin, dass die anatolischen Aleviten die Scharia, das islamische Rechtssystem, für religiöse und welt-liehe Angelegenheiten, als nicht von Gott stammend betrachten. Zentral für den alevitischen Glauben ist vor allem die grundsätzliche Ablehnung der Gewalt, die Gleichstellung der Menschen sowie die Gleichstellung von Frauen und Männern.

 

Das Alevitentum unterscheidet sich vom Bektaschi-Orden kaum. Das Alevitenturn umfasst den Bektaschi- Orden und Menschen mit gleichen Glaubensgrundlagen. Der Bektaschi-Orden ist eine der Richtungen im Alevitenturn. Der Sufismus ist auch ein Teil des Alevitentums.

Die örtlichen Traditionen, Bräuche und Überlieferungen bilden den Reichtum des Alevitenturns. Aleviten bemühen sich, sie zu schützen und schriftlich festzuhalten. In den Gemeinden, in denen alevitisehe Menschen aus verschiedenen Richtungen zusammen gekommen sind, richtet man sich nach Gemeinsamkeiten.

 

Die alevitischen Gemeinden versuchen bei den Aktivitäten eine Atmosphäre zu schaffen, in der die jüngeren und älteren Generationen in gegenseitiger Achtung und Liebe voneinander lernen können. Aleviten glauben an die Notwendigkeit, dass die Älteren mit Geduld und Toleranz die eigene Kultur und Glauben den Jüngeren weitergeben, damit das Alevitenturn erhalten bleibt.

 

,Zu diesen Besonderheiten im Alevitenturn zählen unter anderem:

 

• völlige Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau,

 

• die möglichen Sanktionsarten bei Fehlverhalten,

 

Gottesliebe statt Gottesfurcht,

 

• tolerante Auffassung gegenüber den Menschen,

 

• Verbot gleichzeitiger Heirat mit mehreren Frauen,

 

• Musik und Semah (Ritual) unverzichtbarer Bestandteil im Gottesdienst,

 

• tolerante Auffassung gegenüber anderen Glauben und schönen Künsten,

 

• Fasten zu Muharrem (Muharrem: der erste Monat des islamischen Mondjahres),

 

• Cem-ayini (Bezeichnung für den Gottesdienst der Aleviten)

 

Cem hat im Alevitenturn eine fundamentale Bedeutung. Ein Alevit kann im Cem-Gebet:

 

• seiner verstorbenen Verwandten gedenken,

 

• ein Opfertier anbieten,

 

• Lokma (Lokma = sakrales Mahl) zur Verfügung stellen,

 

• Rechenschaft abgeben (er ist dort unter seinesgleichen), und nicht zuletzt

 

• Informationen zum Alevitenturn, Semah und den 12 Diensten erhalten.

 

Das Cem-Gebet ist somit für Aleviten eine Schule, ein Gericht, Solidarität, Zusammensein und schließlich ein Gottesdienst. 2

 

Die wesentlichen Glaubensaussagen wurden bei Aleviten mündlich überliefert, vor allem durch die dedes (Geistliche), z.T. in religiösen Gesängen, oder schriftlich in den Buyruklar (Gebote) und Gedichten.

 

Viele Aleviten sind davon überzeugt, dass Gott einen heiligen Koran an Mohammed offenbart

 

hat, aber sie sind auch gleichzeitig davon überzeugt, dass dieser Koran nicht mehr mit dem ursprüngliche Inhalt existiert; er wurde ihrer Meinung nach durch den Kalifen Osman vernichtet und durch den heute bei den orthodoxen Muslimen vorhandenen Koran ersetzt, der daher nicht mehr Gottes Offenbarung ist. Der ursprüngliche Koran ist nur dem Heiligen Ali erhalten geblieben. Ali entsprach in all seinen Reden und Handeln in vollkommenster Weise dem Willen Gottes; Alis Leben und Tun haben für die Entwicklung und die Entstehung der alevitischen Lehre als Grundlage gedient.

 

 

 

Der meist geehrte alevitische Wegweiser, Pir Sultan Abdal, formulierte im 16. Jhd. in einem seiner   Gedichte diesen Glauben wie folgt:

 

 

Jeden Morgen, jeden Abend Freudenfeste

 

Die Berge rufen Muhammed AU

 

Die Nachtigall beginnt ein Lied für die Rose

 

Weint und verlangt nach Muhammed Ali

 

 

Den Vögeln im Himmel ward der Weg gezeigt

 

Siehst du nicht die Tränen, die meine Augen netzen

 

Die Wasser springen von Stein zu Stein

 

Und verlangen nach Muhammed AU

 

 

Ich bin Pir Sultan Abdal, verspüre große Liebe

 

Undfohlt man große Liebe, entzündet sich ein Licht

 

Und Hasans und Hüseyins Wiege wiegt

 

Und verlangt nach Muhammed Ali

 

 

 

Glaubensbekenntnis (üc;leme):

 

Aleviten glauben an einen und den einzigen Gott (Allah) und an dessen Gesandten Mohammed und sie drucken es mit dem Glaubensbekenntnis aus:

 

Alevitisches Bekenntnis: "Es gibt keinen anderen Gott außer Allah, Mohammed ist sein Prophet und Ali sein Heiliger." Aleviten verwenden dieses Glaubensbekenntnis in Form einer Kürzel: .Ya Allah, ya Muhammed, ya Ali"

 

Dieses Einheitsverständnis bezieht sich im Kern auf das Gottesverständnis von Mohammed-Ali, Es gibt keine Differenz zwischen Allah und dem Gottesverständnis von Mohammed und auch zwischen  Ali und Mohammed gibt es keine Differenz. Somit repräsentiert auch Ali das vollständige Gottesverständnis, das Allah den Menschen geschenkt hat.

 

Das alevitische Religionsbekenntnis beinhaltet vier konkrete Aussagen:

 

Es gibt keinen anderen Gott außer Allah: Aleviten glauben nur an einen Gott. Sie bezeichnen Gott als Tanrı, Allah, Hu, Hak, Hüda, Sah, Ulu. Gott ist überall zu fühlen und zu sehen. Göttlichkeit ist überall vorhanden.

 

Mohammed ist sein Prophet. Er verkündete das Wort Gottes. Er war Vermittler Gottes.

 

Ali ist ein Heiliger. Er lebte heilig und zeigte den Menschen den Weg zu Gott.

 

Allah-Mohammed-Ali sind Eins. Die drei Namen werden immer zusammen ausgesprochen. Sie sind unzertrennbar. Mohamrned und Ali sind das Licht Gottes. Sie sind erleuchtet wie Gott selbst.

 

Allah hat alles erschaffen, was existiert. Nach alevitischem Glauben wollte Gott durch die Schöpfun sein Geheimnis offenbaren. Der heilige Haci Bektas Veli formulierte im 13.Jh. die Kraft der Seele wie folgt:

Das Paradies liegt im Herzen der Menschen

(Kainattaki cennetin insandaki mukabili gönüldür).

 

 

Sie bekennen sich zu Gott als den Schöpfer und sprechen von einer liebevollen Beziehung zwischen Gott und den Menschen. Yunus Emre, der türkischsprachige Mystiker im 13. Jh., beschreibt diese Beziehung

 

in einem seiner berühmten Gedichte.

 

 

Wir lieben das Geschaffene

 

Ja um des Schöpfers willen !

 

                                                 (Übersetzung: Annemarie Schimmel)

 

 

Yaradılanı severiz,

 

Yaradandan ötürü.

 

                                       (Yunus Emre)

 

 

 

Glauben an die heilige Kraft

 

Aleviten glauben an eine heilige Kraft des Schöpfers, die an die Menschen vor allem durch Hz. Muhammed und seinen Schwiegersohn, den (vierten) Kalifen Ali, sowie durch dessen Nachkommen bis heute übertragen wird. Die heilige Kraft hat nach alevitischem Verständnis jeder Mensch, sei er Alevit, Christ, Sunnit oder Schiit, Frau oder Mann. Nach diesem Verständnis ist der Mensch das vollkommenste und schönste Lebewesen im Universum. Gott wollte seine Schöpferrnacht und Schönheit durch die Erschaffung des Menschen zeigen. Beim Menschen zeigt sich die heilige Kraft vor allem auch durch seinen Verstand. Die Widerspiegelung Gottes im Verstand des Menschen bedeutet zugleich, dass jeder Mensch für sein eigenes Schicksal verantwortlich ist. Er kann ein Scheitern nicht auf göttlichen Willen zurückführen. Die Aleviten sind sich sicher, dass ihr Glaube an die heilige Kraft im Menschen ihre Religion zu einer religio aktiva macht, zu einer Religion des Fortschritts. Dies belegen beispielsweise die Begriffe (camm güzel dost, güzel yüzlüm, güzel tannm), meine Seele, mein lieber Freund, mein lieber schöner Gott. Nach diesem

 

Glauben wird der Mensch als (yansrma) Widerspiegelung Gottes betrachtet.

 

Nach alevitisch-bektaschitischer Auffassung erreicht Gott nur im vollkommenen Menschen den höchsten Punkts seines eigenen Bewusstseins. Aleviten und Bektaschiten verbinden die Lehre der Manifestation des Göttlichen im Menschen mit Ibn-al Arabi (9. Jhd.) dem das Konzept "Einheit des Seienden" (vahdet-i vücut) zugeschriebenen wird. Bei den Aleviten und Bektaschiten wird als eine Metapher für die Seele das Menschenherz als Wohnstätte Gottes "Tann Evi" benutzt.

 

Muhammed und Ali bilden in erster Linie diese Widerspiegelung. Aleviten glauben an eine Identität und eine geistige Gleichartigkeit von Gott, Muhammed und Ali und benutzen den Spruch "allahmuhammed-Ali". Für die Aleviten ist die heilige Kraft eine Gabe Gottes als Verstand (akil), damit sie Gott und dessen Willen erkennen können.

 

 

Ich bin das Äußere und das Innere

 

Das Vergangene und die Zukunft

 

Ich bin das Er und das Er ist das Ich.

 

Ich bin das Erhabene.

 

                                           Yunus Emre

 

 

Hem batiniyim, hem zahiriyim

 

Hem evvelim hem ahirim

 

Hem ben oyum hem 0 benim

 

Hem 0kerim-i han benim.

 

               (Übersetzung: Ismail Kaplan)

 

 

Viele alevitische Gelehrte und Dichter formulierten diesen Schöpfungsglauben mit dem Spruch: En-el hak.: Ich bin die Wahrheit. D.h.: Meine Eigenschaften sind die Eigenschaften des Gottes. Hallac-i Mansur (gest. 922) und Seyyit Nesimi (gest. 1404) sind die berühmtesten Gelehrten der Aleviten gewesen, die wegen dieses Spruches, interpretiert als "ich bin identisch mit Gott", sterben mussten.

 

 

 

Weg zur Vervollkommnung:

 

Aleviten glauben, dass jeder Mensch seine heilige Kraft durch den richtigen Weg wieder entdecken kann. Am Ende dieses Prozesses kann der einzelne Mensch sich mit Gott wiedervereinigen, wenn er seine heilige Kraft wieder entdeckt hat. Für Aleviten ist der Mensch mit Hilfe seines Verstandes fähig, Gott zu erkennen und selbständig zwischen Gut und Böse zu unterscheiden; somit ist der menschliche Verstand .akil - can" für Aleviten eine Quelle der Offenbarung. Der Weg zur Vervollkommnung wird den Aleviten in der Lehre gezeigt. Aleviten beten zu Gott nicht aus Furcht vor der Hölle oder aus Hoffnung auf das Paradies, sondern um seiner ewigen Schönheit willen. Die alevitische Lehre erwähnt nicht, dass die Wohltaten (hayrrh isler) und die bösen Taten (ser) Gottesbefehl wären.

 

Sie haben ein Bild von der Freiheit des Menschen vor Gott und von einem Verhältnis des Mensche zu Gott, das nicht von der bedingungslosen Unterordnung zu einem Gesetzt bestimmt wird, sondern von der Fürsorge Gottes für den freien Menschen, von der Hilfe Gottes bei dem Bemühen des Menschen, Gott immer näher zu kommen. Um dieses Ziel zu erreichen, glauben die Aleviten, nicht nur ein Leben auf dieser Erde zu haben, sondern dass Gott ihnen viele Leben gibt. Der Vervollkommnungsprozess ist für die Aleviten eine Folge der Fürsorge Gottes für den Menschen: Gott gab dem Menschen die Möglichkeit, sich durch viele Leben hindurch immer mehr an ihn anzunähern, sich immer weiter zu entwickeln.

 

Wenn der Mensch frei vor Gott ist, und die Aufgabe hat, sich zur Gottähnlichkeit zu entwickeln, dann sind alle Menschen gleich, weil sie alle die gleiche Aufgabe, das gleiche Ziel haben. Die Aleviten schließen nicht aus, dass Menschen anderer Religionszugehörigkeit durch deren eigenen Weg Gott erkennen und die eigene heilige Kraft wieder entdecken können. Yunus Emre beschreibt den Wunsch zur Menschwerdung in seinem Gedicht:

 

 

Ach, mache so verwirrt mich doch,

 

Dass ich im Liebes/euer brenne.

 

Wo immer ich auch blicken mag,

 

Dass ich nur Dich erkenne!

 

 

Al gider benden benlügt

 

toldur icüme senlügi

 

Gel sen ben i bunde öldür

 

anda varup ölmeyeyim.

 

 

Ach nimm, ach nimm mein Ich von mir

 

Und folle mich so ganz mit -Dir!

 

Komm, töte, töte mich allhier,

 

Dass ich dort nicht mehr sterbe!

 

                                         YunusEmre

 

                                                      (Übersetzung: Annemarie Schimmel)

 

 

Şöyle hayran eyle beni

 

Askin oduna yanaytm

 

Her kancaru bakartsam

 

gördügüm seni sanaytm

 

 

Glaube an die Unsterblichkeit der Seelen und ihre Wiedergeburt:

 

Die Aleviten glauben, dass die Seele des Menschen nicht stirbt, sondern nach dem körperlichen Tod in einen neuen Körper übergeht. Nach dem Glauben der Aleviten stirbt die Seele eines Menschen nicht, sondern wandert in einen anderen neuen Körper. Yunus Emre behandelt in seinen Gedichten den Glauben an Reinkarnation. "Die Körper sind sterblich, nicht die Seelen." (Ölürse tenler ölür, canlar ölesi degil). Die Seele ist unsterblich. Sie bleibt gemäß ihres Schicksals eine Weile in einem Körper, trennt sich davon und geht in eine andere Sphäre. Nach diesem Glauben bedeutet die Existenz der Seele gleichzeitig Existenz eines Menschen. Diese unsterbliche Energie gibt es in allen Lebewesen und in der Materie. Der vollkommene Mensch kann durch diese Energie die letzte Stufe dieser Reise, die Vollkommenheit erreichen. Prof. Dr. Annemarie Schimmel beschreibt diesen Weg der Aleviten mit den Worten: "Ein Alevit weiß, dass sein Körper nur ein Kleid ist, das der Gott ihm anvertraut hat und ihm wieder nehmen wird. Aber immer ist es die alles umfassende Liebe, die er besingt und die ihn belebt wie auch tötet."

 

Der Lebenslauf des Menschen ist nach alevitischer Vorstellung vom Streben nach einer

 

Entwicklung des Denkens und Ethos bestimmt. Die Aleviten sprechen von den 4 Toren, die der Mensch zu durchschreiten    hat, um seiner Bestimmung auf der Erde gerecht zu werden und um die vorhin beschriebene Entwicklung (Annäherung an Gott) zu erreichen.

 

• Der Körper stirbt und die Seele wandert. Die Seele ist ein Gast in dem Körper. (Özkirimli, Atilla, Alevilik-Bektasilik, Seite 207,cem yayinevi, Istanbul1993) Diese Religion (Alevitenturn) hat gleichzeitig den Glauben, dass die Seele (ruh) in einer Welt mit unzähligen Wesen ständig umherwandert.(reincarnation und incarnation). Hatayi (Schah Ismail): In tausenden Körpern kreiste Ali um. (Melikoff, Irene, Uyur idik uyardilar, Seite 61,

 

Cem yayin, Istanbul, 1993) Die Seele ist unsterblich. Sie bleibt gemäß ihres Schicksals eine Weile in einem Körper, trennt sich davon und geht in eine andere Sphäre. Nach diesem Glauben ist die Seele das Leben. Diese unsterbliche Energie gibt es in allen Lebewesen und in der Materie. Die Existenz dieser Energie

 

wird durch Lebewesen herausgefunden. Der vollkommene Mensch ist die letzte Stellung dieser Reise. (Birdogan, Nejat, Anadolunun gizli kültürü- Alevilik, Hamburg, 1990)

 

• In machen Gegenden der Türkei wird immer noch die Beerdigungszeremonie im Frühling wiederholt, mit dem Glauben, dass der Gestorbene im Frühling mit der Natur auferstehen würde. Vielen Kindern in alevitischen Familien werden die Namen von verstorbenen Verwandten gegeben mit dem Glauben, dass ihre Seele in das Neugeborene wandern würde.

 

 

 

Hakka Yürümek: (zu Gott gehen)

 

Aleviten drücken das Sterben des Körpers damit aus. Das bedeutet, dass die Seele eines Menschen zu

 

Gott geht bzw. die Seele eines Menschen seinen Körper wechselt (don degistirmek).

 

 

 

Ölmeden önce ölmek: (Sterben vor dem Sterben)

 

Im Alevitenturn werden die Gläubigen jährlich einmal vor der Gemeinde in die Verantwortung gezogen. Jeder Gläubige stellt sich vor und offenbart seine Fehler gegenüber sich und gegenüber einzelnen Gemeindemitgliedern. Je nach Fehltritt wird dieser Person eine Strafe (Geld oder Dienstleitung oder Ausstoß aus der Gemeinde) auferlegt. Danach müssen die Gemeindemitglieder und der Geistliche das

 

Einverständnis aussprechen. Das nennt man im Alevitentum das Sterben vor dem Sterben. Das Sterben gilt hier fiir das Ego der Person, das es zu besiegen also zu töten gilt. Vom alevitischen Glaubensverständnis aus gibt es keinen Märtyrerstatus, also das Sterben für den Glauben. Aleviten nennen die Persönlichkeiten Märtyrer, die ermordet wurden, weil sie sich zum Alevitentum bekannten und die Wahrheit aussprachen. Der Selbstmord auf den angeblichen Gottesweg gilt als eine Sünde und als Ungehorsam gegen Gott.

 

 

 

Sterbeseelsorge:

 

Aleviten trösten die Sterbenden vor dem Sterben und die Hinterbliebenen mit dem Argument, dass das Sterben lediglich den Körper betrifft, nicht aber die Seele. Die "von Egos, Angst und Besitzgeist gereinigte"

 

Seele wird sich wieder mit einem neuen Menschenkörper vereinigen. Aus diesem Aspekt

 

heraus gesehen, betrachtet man das Sterben als eine Erneuerung der Lebensphase.

 

Am Abend des Beerdigungstags werden religiöse Lieder (duvaz-i imam) in Begleitung des Saz- Instruments bei Anwesenheit von Verwandten und Bekannten vorgetragen.

 

Am 40. Tag nach dem Gang zu Gott fmdet eine Zeremonie (dardan indirme) mit allen Bekannten und Verwandten statt, in der das Einverständnis mit der Seele der Person erzielt wird. Falls die zu Gott gegangene Person Schulden hinterlassen hatte, werden sie von den Hinterbliebenen insbesondere von der Familie der Weggeschwister (musahip) übernommen. Jedes Jahr zum Sterbenstag findet die Fürbitte- Zeremonie statt, in der alle Beteiligten für die Rückkehr der Seele in die Welt beten.

 

ismail Kaplan